Interview mit Paul Verhoeven: "Du gewinnst etwas, du verlierst etwas" (2024)

Interview mit Paul Verhoeven"Du gewinnst etwas, du verlierst etwas"

"Basic Instinct"-Regisseur Paul Verhoeven bleibt mit seinem neuen Film "Hollow Man" dem Thriller-Genre treu. Mit SPIEGEL ONLINE sprach er über seine wahren Neigungen und die Nachteile Hollywoods.

VonRüdiger Sturm

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SPIEGEL ONLINE:

Sie arbeiten an komplizierten Projekten über Hitler oder die SuffragetteVictoria Woodhull. Doch Filme von Ihnen, die letztlich ins Kino kommen, sindPopcorn-Actionknaller wie "Hollow Man". Woran liegt das?

Paul Verhoeven: Es ist schon ein Dilemma: Wirsprechen über gute Projekte, aber wir kriegen sie einfach nicht auf dieBeine. Diese sozusagen esoterischen Filme sind einfach extrem schwierig zurealisieren. Deshalb besteht für mich die Notwendigkeit, Sachen zu drehen,die ich mehr oder weniger mag. Immerhin hat "Hollow Man" ein paarphilosophische Untertöne.

SPIEGEL ONLINE: Weil die Titelfigur Caine heißt und sich alsGott bezeichnet?

Verhoeven: Es ist natürlich die Geschichte eines Luzifers, dergegen Gott rebelliert. Aber gleichzeitig ist die Handlung inspiriert vomzweiten Buch von Platos "Politeia", wo ausgeführt wird, wie einUnsichtbarer alle Gesetze der Gesellschaft brechen würde

SPIEGEL ONLINE: Sie dagegen bekommen anscheinend kein Geld, um die Gesetze Hollywoods zu brechen - trotz aller Box-Office-Erfolge...

Verhoeven: Die Industrie dreht nur das, was ihrer Meinung nach funktioniert. Projekte, die nicht dem allgemeinen Geschmack entsprechen, interessieren nicht. Ein Film über Hitler? Keine Chance bei den Studios. Oder Victoria Woodhull: ein Historienfilm über eine Suffragette, die zur politischen Figur wird, eine Vertreterin der freien Liebe und noch dazu eine Spiritistin: Wo findest du Leute, diesagen: Wow, lass es uns tun?

SPIEGEL ONLINE: Der Woodhull-Film wird aber immerhin von Sony finanziert...

Verhoeven: Bis jetzt nur das Drehbuch. Und für das gegenwärtige Skriptwird Sony nie und nimmer grünes Licht geben. Ich bin selbst mit dem Buchnur zu 50 Prozent zufrieden. Da werden wir schon noch ein Jahr Entwicklungbrauchen.

SPIEGEL ONLINE: Und wenn's dann immer noch nicht funktioniert?

Verhoeven: Es ist einfach eine Realität des Filmemachens: Es gibt Vorhaben, aus denen wirdnie etwas. Carl Theodor Dreyer, der berühmte dänische Regisseur,arbeitete 10, 15 Jahre an einem Film über Jesus - auch eines meinerProjekte -, und als er endlich das nötige Geld und seine Wunschbesetzunghatte, starb er.

SPIEGEL ONLINE: Sind Sie so desillusioniert?

Verhoeven: Als ich 1986 aus Holland wegging, empfand ich die Situation dort als sehr erdrückend. Ich hatte das Gefühl, als würden mich die Regierung und die begrenzten Möglichkeiten langsam ersticken. In Hollywood dagegen gab es ganz schnell eine riesige Palette von Projekten. Aber die waren notgedrungen viel konservativer als meine früheren Filme wie "Türkische Früchte" oder "Der vierte Mann". Noch konservativer, als icherwartet hatte. Andererseits kannst du dort aber einen Film nach dem anderendrehen. Du gewinnst etwas, du verlierst etwas.

SPIEGEL ONLINE: Was haben Sie verloren?

Verhoeven: Meine europäischen Filme waren viel authentischer undrealistischer. Das gilt auch für jemanden wie Wolfgang Petersen. Hollywoodproduziert eben wie ein großer Industriebetrieb.

SPIEGEL ONLINE: Und damit haben Sie sich abgefunden?

Verhoeven: Fast zehn Jahre lang habe ich gekämpft, um in diesem Wettbewerbden Kopf über Wasser zu halten. Nach "Basic Instinct" wurde ich dann inden USA akzeptiert, aber ich fragte mich: Ist es das, was ich will? Dieser Denkprozess hat lange gedauert. Erst vor zwei Jahren habe ich endgültig begriffen, dass ich die Dinge, die mir wirklich am Herzenliegen, in Hollywood vielleicht nie realisieren kann.

SPIEGEL ONLINE: Also zurück zu den europäischen Wurzeln?

Verhoeven: Auf jeden Fall zurück zu meinen europäischen Produzenten und Autoren. Nachmeiner Promotiontour zu "Hollow Man" war ich zehn Tage in Holland, um mitGerard Soeteman zu arbeiten, der alle meine holländischen Filme schrieb.

SPIEGEL ONLINE: "Basic Instinct"-Autor Joe Eszterhas ist als kreativer Partner nicht mehr denkbar?

Verhoeven: Es gibt Verschiedenes, was ich an ihm schätze: Er kann über die gedanklichenSchranken Hollywoods hinausgehen, und er ist so brutal ehrlich, dasser sich nicht davor fürchtet, jemandem auf den Schlips zu treten. Mit diesenTalenten ist er theoretisch im Stande, etwas Hochinteressantes zu schreiben.Andererseits ist ihm das seit "Basic Instinct" nicht mehr gelungen. Ganz abgesehen davon ist die Arbeit mit ihm natürlich sehr schwierig. Unsere Auseinandersetzungen beim Dreh waren gigantisch.

SPIEGEL ONLINE: Wird es "Basic Instinct 2" geben?

Verhoeven: Nein. Das habe ich jetzt endgültig abgeblasen. Ich war mit demDrehbuch nicht einverstanden. Vielleicht hätte Joe es schreiben sollen.

SPIEGEL ONLINE: Womöglich wird Hollywood von solchen expliziten Thrillern ohnehin bald Abstand nehmen. Washington will ja die Brutalität im Kino eindämmen...

Verhoeven: ...weil sie angeblich Gewalttaten fördert. Eine absurde Diskussion. Diese angeblichultra-brutalen Filme laufen ja auch in Europa...

SPIEGEL ONLINE: ...wo die Verbrechensratewesentlich niedriger ist.

Verhoeven: Und warum? Weil Feuerwaffen nicht so leichtverfügbar sind. In den Staaten schenkt man doch schon Dreijährigen ihrerstes Gewehr. Wir haben das auch in "Starship Troopers" aufs Korngenommen, in der Szene, wo die Kids ihre Waffen kriegen. Filme haben einenviel geringeren Einfluss auf die Gesellschaft, als unterstellt wird. Inerster Linie sind sie deren Spiegel.

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